Wir haben wieder das getan, was ich (Judith) am liebsten tue – Reisen mit einer Laufveranstaltung verbunden. Zum Abschluss unseres Aufenthalts in Skåne startete ich beim Österlen Spring Trail über die 60km Ultra Distanz (kurz ÖST Ultra). Olli habe ich gleich mit angefixt, dort seinen ersten Halbmarathon zu rennen. Wie ich den Wettkampftag am 13. April 2019 erlebt habe, und ob Olli auch ins Ziel gekommen ist, lest ihr hier.
ÖSTERLEN SPRING TRAIL – FRÜHSTÜCK FIRST
Meine “244” ist schon ziemlich geknüddelt, bis es mir endlich gelingt, sie am Startnummernband fest zu zurren… Was gibt es noch zu tun? Erstmal wieder vom Platz aufstehen – erneut zum Buffet. Während ich einen weiteren Berg Kohlenhydrate durch den Frühstücksraum im Hotel Svea balanciere, beobachte ich das Toben der Wellen draußen am Yachthafen. Schneeregen klatscht gegen die nasse Fensterfront. Wer hat denn zum Wettkampftag Mitte April dieses Schietwetter bestellt?
Meine fahrigen Finger suchen Halt an der Kaffeetasse, die Olli mir hingestellt hat. Oh mein Gott, er muss doch auch total nervös sein! Immerhin geht er heute bei SEINEM ERSTEN HALBMARATHON an den Start. Ich blicke in sein lächelndes Gesicht, und wie auf Knopfdruck nehme ich nun die ruhige Musik im Hintergrund wahr, und meine Vorfreude – beides eigentlich schon die ganze Zeit da. Endlich ist es soweit! Raceday, Baby! Österlen Spring Trail – ein Ultratraillauf, in Skåne, Südschweden. Die 60km zwischen hier (am Hafen von Simrishamn an der schonischen Ostseeküste) und dem Zielort (Schloss Christinehof) versprechen eine nass-kalt-stürmisch-sandig-hügelig-tolle Herausforderung – nordish by nature! Das hausgemachte Brot noch zwischen den Zähnen, grinse ich Olli an wie ein Honigkuchenpferd.
HOTEL SVEA – DIE RUHE IM STURM
Unser Hotel mit dem Namen Svea liegt nur etwa 100m vom Ultra-Start des Österlen Spring Trail entfernt und bietet allen Läufern ein bisschen Behaglichkeit vor dem Sturm. Die Lobby ist mittlerweile überfüllt. Viele haben das Angebot genutzt, ihr Auto im Zielbereich am Schloss Christinehof abzustellen und von dort mit Bussen hierher gefahren zu werden. Jeden schutzsuchenden Neuankömmling begleitet ein Hauch eisiger Wind durch die Eingangstür.
Irgendwann trauen Olli und ich uns raus und schlendern durch den Niesel Richtung Start. Gedanklich gehe ich noch einmal den Inhalt meines himmelblauen Wechselrucksacks durch, bevor ich ihn vertrauensvoll einem Helfer in die Hand drücke.
Einheitliche Startbeutel gibt es nicht, und somit stapeln sich Taschen x-beliebigen Formats, mit Wechsel-Equipment und Lieblings-Naschies gefüllt, auf der Ladefläche des kleines Transporters. Er wird alles zum Bauernhof Bengtemölla (dem Verpflegungspunkt (VP) bei Kilometer 32) fahren.
ÖSTERLEN SPRING TRAIL – STARTAUFSTELLUNG SIMRISHAMN
“Hamngatan”, die Hafenstraße der Stadt Simrishamn, gleicht an diesem Morgen einem Ameisenhaufen. Mehr und mehr Läufer verlassen die Wärme des Hotels und kommen auf dem Platz zusammen.
Hinter dem Startbanner werden Oberarme gerubbelt und Schenkel abgeklopft. Wenn freundlicher Blickkontakt nicht reicht, schafft man sich mit der nassen Schulter sachte Raum. Irgendwann hat jeder ein Plätzchen gefunden, die Startaufstellung scheint abgeschlossen, alle warten gespannt. Doch dann muss die Menge noch mal drei Meter rückwärts gehen, sodass sich neue Nachbarn finden. Ein junger Mann verkündet auf Schwedisch letzte Informationen. An einem Punkt lachen alle, auch ich, während ich mich ahnungslos an meinen Nebenmann wende und frage, was los ist. Ach, im Grunde sind alle nur irgendwie nervös… Immer wieder fahre ich mit zittrigen Fingern meine Startnummer glatt und stülpe dann einfach die Regenjacke drüber.
SIMRIS ALG ULTRA 60KM – AUSRÜSTUNG
Bei den meisten Ultraläufen gibt es Vorschriften, welche Pflichtausrüstung jeder Läufer während des Rennens mit sich tragen muss. Sie dient der eigenen Sicherheit und wird den Gegebenheiten von Strecke und Wettersituation vom jeweiligen Veranstalter angepasst und meist beim Zugang in den Startbereich kontrolliert.
Beim Simris Alg Ultra 60km (der einzigen Über-Marathon-Distanz beim Österlen Spring Trail) gehört Folgendes zur obligatorischen Ausrüstung:
- winddichte Jacke
- Erste-Hilfe-Decke
- mindestens 1 Liter Flüssigkeit
- Verpflegung
- Notfallpfeife
- Startnummer
- Handy (sollte bei 0° C und Schneefall bis zu 8,5 Stunden halten).
Optional, jedoch zusätzlich empfohlen, sind:
- Kompass
- Mütze
- Handschuhe
- extra warme Kleidung
- ein zweites Paar Socken (in wasserdichter Plastiktüte vor Nässe geschützt)
- weitere Energielieferanten (Süßigkeiten, Salztabletten usw.)
- ein Trinkbecher (für heiße Getränke an den Verpflegungsstationen)
Ein paar Läufer haben Trailrunningstöcke dabei.
Mein Rucksack ist leicht, ich spüre ihn kaum durch die Jacke. Ein zweites Paar Trailschuhe ist in meinem Dropbag gerade auf dem Weg zum VP und wartet bei Bedarf zur Hälfte des Rennens auf seinen Einsatz.
ÖSTERLEN SPRING TRAIL – VON SIMRISHAMN NACH VIK, DIE ERSTEN 10KM
TUUUUT, pünktlich um 10 Uhr fällt der Startschuss zum Österlen Spring Trail.
Wäre der Läuferpulk nicht noch komplett zusammen, hätte ich mich schon jetzt verlaufen, denn wir rennen nicht entlang der Hauptstraße sondern drehen eine Schleife entlang der Kaimauer. Olli weiß im Gegensatz zu mir Bescheid, erwartet mich an der Abbiegung und macht noch 1-2 Fotos, bevor er zum Auto flitzt, um zum Start sein eigenes Rennen zu fahren.
Nach ein paar hundert Metern entlang des Yachthafens verlassen wir Simrishamn. Zunächst geht’s über eine Schotterstraße, dann rauf auf den Sandstrand.
Im Grunde folgen wir für die ersten 25 Kilometer der felsigen “Apfelküste” entlang der Ostsee nach Norden. Rechter Hand immer das offene Meer.
Auf den ersten drei Kilometern bis zur Landspitze Vårhallarna testet jede/r für sich, ob sich das Laufen im weichen, etwas tieferen Sand oder eher glatter/fester in Wassernähe heute besser anfühlt. Augenblicklich bin ich dankbar dafür, dass der Regen den Untergrund generell etwas “griffiger” gemacht hat.
Wir laufen auf dem Skåneleden Trail, einem Fernwanderweg, der das ganze Jahr über mit orangen Markierungen ausgezeichnet ist und auf 1.250 Kilometern durch das ländliche Skåne (Schonen) führt.
Über Strandwiesen und buschbedeckte Weiden geht’s zum Fischerdorf Baskemölla. Entlang des Hafens erwarten uns die ersten Zuschauer, dick eingemummelt bei der Kälte, kleine Schweden-Fähnchen schwingend. “Heia! Heia!” rufen sie lachend. Im Wasser befinden sich Felsplatten und Findlinge, überall große runde Steine. Die Küstenlandschaft führt uns weiter durch wunderschöne, sensible Naturgebiete. An den Sandstrand grenzen Weiden mit wilden Sträuchern und kleinen Blumen. In Vik empfangen uns wieder Menschengruppen am Hafen. Der Skåneleden Trail biegt hier nach links ab, doch alle Teilnehmer des Österlen Spring Trail rennen weiter am Strand geradeaus in Richtung Stenshuvud.
ÖSTERLEN SPRING TRAIL – STRECKENMARKIERUNG
Meine Sorge, irgendwo zwischen Wellen und Wald verloren zu gehen, war unbegründet. Die gesamte Österlen Spring Trail Strecke ist gut ersichtlich markiert: gelbe Plastik-Bänder oder -Fähnchen auf Bambusstäben, schwarze Pfeile auf gelben Zeichen und gelbe Pfeile auf dem Boden… je nach Terrain. Verlaufen sollte sich hier niemand.
ÖSTERLEN SPRING TRAIL – STEILE LANDSCHAFT ZWISCHEN VIK UND STENSHUVUD
Ein Geräusch wie Zähneknirschen, als wir vom grobkörnigen Sand- auf losen Kiesstrand springen. Wenn’s eng wird, drehe ich mich immer wieder um, ob ich nicht jemanden aufhalte. “It’s perfect. You’re running great!” Ok, weiter geht’s.
Der nun folgende Küstenabschnitt zwischen Vik und Stenshuvud ist ein ganz besonders schöner. Zu unserer Rechten immer das Meer – und seine Wellen. Der Ostwind macht das Vorwärtskommen zu einer besonderen Herausforderung, und meine Jacke flattert wie wild. Das Wasser kommt immer unverhofft angeschwappt. Ich springe von rechts nach links und über die Wellen rüber, doch nasse Füße sind garantiert. Yeah, das wird heute ganz bestimmt nicht langweilig! 🙂
Nördlich von Vik laufen wir entlang dramatischer Sandsteinfelsen. 10-15 Meter hoch sind die Steilhänge. Die Erosion schafft hier eine besondere Landschaft, die faszinierend aber auch gefährlich sein kann. Die Einsturzgefahr ist hoch, sodass man am besten immer die Klippe im Auge behält. Einige Bäume haben sich schon aus dem Sand gelöst und sind vom Hang gestürzt. Für uns bedeutet das immer mal wieder Klettern und die ein und andere spontane Grätsche oder Dehnübung über umgefallene Bäume – herrlich nach 10 von 60km! 😉 Doch genau diese überraschenden Hürden liebe ich beim Trailrunning!
Nach dieser Strecke folgt ein schwer zugänglicher Felsabschnitt (Erosionsschutz). Links davon kann man mit Hilfe eines Seils nach oben gelangen und entlang eines Zauns in der Höhe weiterlaufen. Ich entscheide mich für die Variante Klettern. Ein unendlicher Steinhaufen… Ich nehm’s mit Humor und grinse über das ganze Gesicht. Ja, mit einem flachen Asphalt-Marathon ist das hier keineswegs vergleichbar. Es ist eher ein Hindernislauf, aktuell mit Krabbel-Pace. Die meisten von uns Läufern befinden sich mit mindestens drei Kontaktpunkten im Geröll. Leider habe ich von diesen abenteuerlichen und kaum zugänglichen Stellen keine Fotos.
Einige hundert Meter nach der Fußknöchelmassage wird aus runden Steinen endlich wieder Sand. Wir passieren Knäbäckshusen. Das niedliche Örtchen haben Olli und ich gestern schon besucht. Ohne jemanden an der Hand, der von jedem einzelnen Holzhaus ein Foto macht, bin ich schnell dran vorbei. 😉
Etwa bei Kilometer 13 des Österlen Spring Trail verlassen wir die Felsenküste über eine prachtvolle Orchideenwiese und durchqueren Schwedens südlichsten Nationalpark, den wunderschönen und vielfältigen Stenshuvud. Der gleichnamige Berg war schon länger aus der Ferne sichtbar. Er besteht aus drei verschiedenen Gipfeln, von denen der nördliche mit 97 Metern der höchste ist. Ab jetzt ist der Weg von Hainbuchen und großen Eichen gesäumt. Später erfahre ich, dass es im Park eine Vielzahl seltener Pflanzenarten wie Golderdbeeren, Schwarzer Streifenfarn, Kuhschellen und die Italienische Strohblume gibt – puh, wie wenig kenn’ ich mich aus…
HINTERM HALBMARATHON GEHT’S WEITER… BZW. HINTER STENSHUVUD: KIVIK BIS VITEMÖLLA
Am Hafen von Kivik erwartet die Läufer eine inoffizielle Verpflegungsstation: Das Fischgeschäft “Buhres Fiskrestaurang” (ja, Restaurant schreibt man in Schweden mit g am Ende) verteilt bei Kilometer 22 ein mini Buffet an Schnittchen und Häppchen – vermutlich mit Delikatessen aus dem Meer. Ich genieße lediglich die fröhliche Atmosphäre und flitze vorbei.
Das Rennen findet nicht während der Hochsaison in Österlen statt und verläuft entlang ländlicher Waldwege, Pfade und Trails. Publikum ist rar gestreut. Doch in den Ortschaften gehen alle Daumen hoch. Man bimmelt mit Kuhglocken und Fahrradklingeln und wedelt mit der schwedischen Fahne. “Heja, Heja” überall. Hier laufen wir kurzfristig auch auf Asphalt, und wann immer die Läufer Straßen überqueren, sind hilfsbereite Volunteers zur Stelle. Wir kommen an Königsgräbern, einer Kapelle und einem Marktplatz vorbei – Hügel hoch, Düne runter, vom Wald wieder Richtung Meer. Skåneleden führt uns entlang der Bucht von Hanö zum Naturschutzgebiet Vitemölla und durch das gleichnamige kleine Fischerdorf.
VITEMÖLLA STRANDBACKAR – KLAMMERSBÄCK (SAND, SAND, SAND…)
Der Sandstrand ist endlos, eine einzigartige, kalkhaltige Sandsteppe, gespickt mit Sandlilien und knorrigen Kiefern. Es duftet nach Thymian.
Ein paar Kilometer hinter Vitemölla erreichen wir an der Mündung des Klammersbäck einen plätschernden Bach mit einer kleinen Brücke. “Pass over the bridge only, endangered species in the area!!!” Alles klar, zum Schutz der Baumlerchen benutzen wir die Brücke.
AB HAVÄNG WIRD’S HÜGELIG, UND VORM ESSEN ERWARTET UNS EINE ÜBERRASCHUNG
Von der Atmosphäre her erinnert die Küste zwischen dem kleinen Dorf Vitemölla und Haväng an Südeuropa – und passenderweise mischt nun auch etwas Sonne die Kälte auf. Über einen Parkplatz biegen wir an einem Hostel (einem schönen Fachwerkhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert) ab auf den gelb markierten Backaleden Trail, einen „Partnerpfad“ zum Skåneleden. Hügelige Wiesen soweit das Auge reicht. Ich freue mich über den Wechsel der Szenerie und lasse die Beine über das Grün fliegen – zumindest bergab geht's im Sauseschritt. Die Anstiege sind teilweise knackig und die Beine merklich nicht mehr 100% frisch nach 30km Küstentrail. In Teilen des Parks grasen Nutztiere, ansonsten keine Seele weit und breit. Die Weideabschnitte sind durch Stacheldraht getrennt und für Zweibeiner mit Holzleitern verbunden (oje, Stufen… Beine und auch Arme können sich über mangelnde Abwechslung keinesfalls beklagen).
Dann überrascht der Österlen Spring Trail mit einem der heutigen Highlights: Ziemlich genau zur Hälfte unserer heutigen Renndistanz kreuzt eine Eisenbahnlinie unseren Weg, und eine dicke Dampflokomotive der Museumsbahn hockt mitten auf unserer “Ideallinie”. Nix drumherum, es geht ab durch die Mitte. Wir klettern durch die schwarze Diva durch.
Dieser besondere Übergang gibt mir zunächst neuen Schwung, doch die weiterhin welligen Hügel nach der Lokomotive rauben noch einmal ordentlich Kraft, und eine Mitstreiterin sitzt mir im Nacken. Durchbeissen! Noch 2-3 Kilometer, dann ist die erste offizielle Verpflegungsstation erreicht: Bengtemölla
Im Bauch eines einzigartigen, zweigeschossigen Fachwerkhauses aus der Mitte des 18. Jahrhunderts (mit angeschlossenem Mühlenbetrieb) warten unsere Dropbags.
Freunde und Verwandte vieler Läufer haben sich im Innenhof zwischen den Gebäuden versammelt. Für diejenigen, die die Staffel beim Österlen Spring Trail laufen (also den „Duo-Trail“ 32 km + 28 km), findet hier der Wechsel statt.
Ich springe die Eingangsstufen hoch, zeigte meine Startnummer beim Check-in und spüre sofort die Wärme im Inneren dieser herbeigesehnten Verpflegungsstation. Eine wohlige Atmosphäre! Die Mühle ist hervorragend bewahrt und bestimmt industriegeschichtlich hochinteressant…, doch ich habe nur Sinn für Essen und Trinken! Es gibt Äpfel aus der Region, von denen ich dankbar ein paar Scheiben greife. Dann baue ich mir einen Burger aus Salzkräckern und Schokolade und stopfe alles zusammen in den Mund – hmmm, die süß-salzige Kombi ist jetzt genau richtig, lecker! Mit einem Tee in der Hand mache ich mich auf die Suche nach meinem hellblauen Beutel.
Die Dropbags sind in Reihen ausgelegt, und als ich bei meinem ankomme, sacke ich müde daneben und schließe für einen Moment sitzend die Augen. Die stille Ecke, die Wärme und das Dach über dem Kopf schenken willkommene Erholung, und so genieße ich ein paar Augenblicke auf dem Boden zwischen den geduldigen Beuteln. Ich überlege hin und her, was ich denn nun aus meinem Dropbag benötige, doch bin zufrieden mit dem was ich habe. Meine Trinkblase fülle ich mit frischem Wasser, und zwei neue Dattel-Nuss-Riegel wandern in meinen Rucksack. Energie für nochmal ca. 30km… Schuhe und Socken sitzen perfekt, sodass ich auf Wechselsachen verzichte, während sich um mich herum die meisten umziehen. “Never change a winning team” denke ich. Naja, “winning”… Ich habe den Überblick zu möglichen Platzierungen schon zwischen den Wellen in Simrishamn verloren und keine Ahnung, wer hier heute was gewinnt.
Mit aufgetankten Speichern und neu motiviert checke ich aus und gehe rauf auf die Strecke (tatsächlich gehe ich erstmal ein paar Meter). Ab hier sieht die Landschaft wieder ganz anders aus.
WAS SOLL ALL DER LÄRM UM BENGTEMÖLLA UND MAGLEHEM?
Mal was ganz Neues ab Bengtemölla: gerade und vor Allem flach verläuft der Feldweg! Ich kann mein Glück kaum fassen, während die Beine automatisch wieder in einen munteren Laufschritt wechseln.
Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubender Lärm – Salut aus dem militärischen Schießgebiet Ravlunda! Der Truppenübungsplatz umfasst rund 1.600 Hektar Land und hat eine Gefahrenzone, die sich bis 22.000 Meter in die Hanöbucht erstreckt. Deshalb laufen wir nun auch diesen Riesenbogen… Beim ersten Knall verjage ich mich noch ordentlich und denke zunächst, wir sind mitten in ein Gewitter gerannt, doch Maschinengewehr- und Kanonenlärm würde uns fortan begleiten. Die Schüsse sind kilometerweit zu hören.
Manchmal donnert es so, dass die Kleidung flattert, und ich die Druckwellen im Magen spüren kann. Besonders steigt das Adrenalin, als wir später den Soldaten und gepanzerten Fahrzeugen im Wald begegnen. Gut dass wir nur indirekt Teil der Schießübung sind…!
Ich konzentriere mich aufs Laufen und komme auf verschiedensten Untergründen gleichmäßig voran. Ein Schotterweg bringt uns am Bahnhof Brösarps vorbei, und auf einem Radweg (ein alter Bahndamm) laufen wir kurz darauf an mehreren schönen Gebäuden in Maglehem vorbei, bis wir über eine verkehrsreiche Landstraße linkerhand den Eingang zum Naturschutzgebiet Kumlan erreichen.
NATUR PUR IN KUMLAN / DRAKAMÖLLA / BRÖSARP
Das Kumlan-Reservat gehört mit dem benachbarten Naturschutzgebiet Drakamölla zu den wertvollsten Sandflächen Ostschonens. Die sanft abfließenden sandigen Hügel bildeten sich, als das Inlandeis abschmolz. Heute ist das Mosaik aus kalkreicher Sandsteppe und Sandheide-Vegetation ein Refugium für Bienen und Hummeln und weitere Insektenarten, die nur hier vorkommen. Auch seltene Käfer leben in und von dem Mist der weidenden Tiere. Ich lasse meine Gedanken schweifen, lausche mir unbekannten Vogelstimmen und pushe mich selbst vorwärts. Es läuft sich leicht, und auch wenn ich das Mädel, dass mir zur Halbzeit an der Lokomotive noch dicht auf den Fersen war, seit der Verpflegungsstation nicht mehr gesehen habe, gebe ich Gas. Ich überhole immer wieder ein paar Läufer, doch habe immer noch keine Ahnung, an welcher Position ich aktuell beim Österlen Spring Trail liege.
Die Pfade hier haben eine ganz besondere Magie und geben weite Ausblicke über die ausgedehnte Heidelandschaft. Noch einmal müssen wir eine Straße kreuzen, dann geht’s in die ähnlich spektakulären Nordhänge von Brösarp. Brösarps Pisten sind auch Teil der Halbmarathonstrecke, und ich frage mich, wie Olli das Auf und Ab auf dem Verkeån Trail 21km empfindet – bzw. empfunden hat, er müsste längst im Ziel sein. Endspurt jetzt, ich will ihn nicht zu lange warten lassen! Die Landschaft mit Blick auf den Buchenwald ist wunderschön, doch ich sehne nun die Ziellinie herbei.
VANTALÄNGAN – NICHT LANG SCHNACKEN, AB INS ZIEL!
In Vantalängan, etwa 12km vorm Ziel, befindet sich noch eine zweite (und auch letzte) offizielle Verpflegungsstation – nicht ganz so spektakulär wie die erste an der Mühle, dafür ganz herzlich besetzt. Ich plaudere kurz mit den Volunteers, tunke ein paar Obstscheiben in Salz und bin über einen Schotterweg kurz darauf auch schon wieder weg.
Auf den letzten zehn Kilometern des Österlen Spring Trail sind die Trails schön, abwechslungsreich und manchmal technisch, mit steilen Abhängen in Richtung des Flusses Verkaån. Hier muss man die Konzentration noch einmal oben halten und die müden Füße koordinieren.
Was dabei hilft, ist ein weiteres Highlight auf der heutigen Strecke: Hallamölla, der höchste Wasserfalls in der südschwedischen Provinz Skåne. Die Wassermassen, die hier auf 23 Metern über mehrere Kaskaden in die Tiefe stürzen, sind beeindruckend. Beim bloßen Vorbeihuschen spüre ich die Kraft des Flusses Verkeån – diese Power wurde seit dem 15. Jahrhundert bis Ende 1948 wirtschaftlich durch eine Wassermühle genutzt, die auch den Namen für den Wasserfall gab, noch voll funktionstüchtig ist, und an ausgewählten Tagen besichtigt werden kann. Wer genauer hinsieht, kann am Ufer auch Eisvögel, Gebirgsstelzen und Wasseramseln entdecken.
Wir passieren eine malerische Siedlung, und aus der Ferne erkenne ich das idyllisch im Verkeån-Tal gelegene Café und B&B Alunbruket, in dem wir kürzlich noch übernachtet haben. Jetzt heißt’s durchziehen – erst ins Ziel, danach die Gemütlichkeit!
Noch zwei Straßen sind zu überqueren, dann geht es auf den letzten Kilometer dieses Rennens. Ich kann’s kaum glauben. So viele Eindrücke im Kopf! Welch’ schöne Landschaft! Ich laufe durch einen Waldabschnitt und freue mich darüber, wie problemlos alles lief. Jeder Sonnenstrahl, der durch die Bäume dringt, lässt mich grinsen. Warum trage ich eigentlich immer noch meine Regenjacke?
Fast übersehe ich Olli, der ein paar hundert Meter vor dem Ziel im Wald auf mich wartet (mein ganz persönliches Highlight). “OMG, wie war’s?!” brülle ich ihm entgegen. “Scheisse” erwidert er, als er versucht, neben mir herzulaufen und meinen Zieleinlauf zu filmen. Das klappt nicht ganz, weil seine Beine streiken. Ich lache und ziehe vorbei. “Bis gleich!” Schönen Dank – nach 60km noch mal Steinstufen hinauf zum Schloss… Alle Finisher des Österlen Spring Trail kommen von der Flanke dieses ockergelben Gebäudes auf den Schlossvorhof zugelaufen, wo der hölzerne Zielbogen wartet. Ein kurzer Endspurt, dann ist es geschafft!
Klickklick – die schöne Frontseite des Schlosses ziert zumindest alle Zieleinlauf-Fotos.
Hinter dem Bogen bremse ich ab und bekomme eine wunderschöne Simris Alg Ultra Finishermedaille um den Hals gehängt (rund, aus Ton, mit einem Adler verziert). Dann springe ich Olli in die Arme, dem die Medaille der Halbmarathonis um den Hals baumelt (quadratisch, aus Holz, mit einem Hirsch bedruckt). Ich ringe nach Luft und platze fast vor Stolz. “Du hast es geschafft!!”
Wir verschwinden schnell mit einem veganen Curry ins beheizte Zelt und erzählen… Die Worte ergeben hin und wieder keinen Sinn, denn wir sind nun beide unendlich platt, gemischt mit unendlich froh. Ich schlürfe einen schwedischen Apfelsaft nach dem anderen (so gut!) und verpasse fast…
Die Siegerehrung! Der Veranstalter Gael Joly ruft durch einen Lautsprecher meinen Namen auf. Ich habe es tatsächlich aufs Treppchen geschafft! So schnell wie möglich (nach dem Finish eines Ultras ist das natürlich relativ…) hoppel’ ich über den Rasen zum Schlosseingang. Die ersten fünf Frauen des Ultralaufs werden geehrt, und nach vier flotten Schwedinnen komplettiere ich das Podium, welches sich somit als “international” bezeichnen kann – alle Ergebnisse des Österlen Spring Trail hier.
Bei 6:09:59 stoppte meine Uhr. 60km und 1.450 Höhenmeter liegen hinter mir. Ich fühle mich herrlich k.o. – der perfekte Abschluss unseres Urlaubs.
ÖSTERLEN SPRING TRAIL – DANKE! TAK!
Ein herzliches Dankeschön an den Veranstalter A Different Path und sein Team für die liebevolle Organisation und den Fokus auf Nachhaltigkeit bei diesem Rennen (nur ein Beispiel: Der Österlen Spring Trail war das erste Rennen in Schweden, bei dem Einwegbecher komplett ausgeschlossen wurden).
Trace de Trail gibt eine perfekte Zusammenfassung dieses Ultras, dem ich nichts hinzufüge außer dass ich sie mit ganz viel Dankbarkeit und Laufliebe unterstreichen möchte:
“A fantastic adventure on the wildest part of Österlen. Discover the best of the regions unique nature. The course goes straight through Stenshuvuds national parc and six others nature reserve but also historical buildings. The variation of the terrain and the landscape gives a unique feeling to the race. Trail running at its best!”
Welche Emotionen Olli bei seinem ersten Halbmarathon im Rahmen vom Österlen Spring Trail begleitet haben, schildert er (ganz bald) in einem separaten Erlebnisbericht.
Und vielleicht interessiert euch ja auch, wie ich im Juni 2017 einmal quer durch Schweden gelaufen bin (über 420km, 10 Marathons in 10 Tagen – Laufen.de hat darüber berichtet).
Die Fotos mit Wasserzeichen wurden mir vom offiziellen Event-Fotografen Thomas Bengtsson, Snikkelbecker Media, zur Verfügung gestellt (Instagram: @snikkelbecker).