Solo-Laufabenteuer stehen aktuell hoch im Kurs. Wenn offizielle Wettkämpfe wegfallen, schaffen wir unsere eigenen Rennen. Fastest Known Times schießen wie Pilze aus dem Boden. Wir machen unser Ding, auf eigene Faust oder mit Unterstützung einer Crew. Nicht selten nimmt die Organisation und Durchführung zusätzlich zu dem sowieso schon zeitintensiven Training einiges an Ressourcen in Anspruch. Stellt sich die Frage: Wie egoistisch ist das eigentlich?
Meins. Laufen ist eine Lebenseinstellung.
14. Juni. Das ist mein Tag, mein Geburtstag, auch 2020. Auch wenn in diesem Jahr vieles anders ist. Unseren ersten Übernachtungsbesuch seit Ausbruch von Covid-19 freudig erwartend, lenke ich einen zitronig duftenden Wischmopp durch unsere Vierzimmerwohnung. Mein schmutziges Paar Laufschuhe nehme ich vom Flur mit ins Bad. Mein Balance-Pad dort unterm Waschbecken umfährt der Wischmoppp geschickt. Ich cruise mit ihm weiter, umrunde meine Yogamatte, meine Minibands und meine Kettlebells. Neben meinem Rollentrainer vereinen sich letzte Schweißperlen meines morgendlichen Sportprogramms mit dem Wischwasser. Ein Blick in mein Laufschuhregal – ob die selten sauberen Treter meinen Freund Olli hier im Arbeitszimmer wohl stören? Schließlich verbringt er die meiste Zeit in diesem Raum. Im Vorbeigehen ziehe ich meine Laufuhr aus der Steckdose, hänge mein Springseil an die Wand, hebe meine Faszienrolle vom Teppich auf und rolle weitere Dinge an ihren Platz: meinen Igelball, meinen Medizinball, meinen Sitzball. Meins, meins, meins. Ich breite mich und mein Sportequipment aus wie “Der lebende Planet” aus Marvel's Actionfilm „Guardians of the Galaxy Vol. 2.“ Die Filmfigur heißt Ego, ein rücksichtsloser Typ, der das ganze Universum unter seine Kontrolle bringen wollte. Mit schlechtem Gewissen erkenne ich Parallelen. “Ist das Ego-istisch von mir?”, überlege ich und lege Christopher McDougalls “Born to run” zurück auf den Nachttisch. Das Buch über die Geschichte der Tarahumara, einer indigenen Ethnie von besonders begabten Langstreckenläufer*innen aus Mexiko, interessiert in diesem Haushalt ebenfalls genau eine Person: mich.
Ich spreche Olli darauf an. “Egoistisch? Nun ja, da muss man differenzieren. Du als Person nicht. Du als Läuferin schon irgendwie. Laufen steht bei dir über allem.” Ja, Laufen ist meine Leidenschaft, und der gebe ich – zugegeben – sehr viel Raum. In Planungsphasen für außergewöhnliche Laufabenteuer sogar mehr als im normalen Lauftraining. Heute in drei Wochen will ich versuchen, den Heidschnuckenweg, einen Fernwanderweg durch die schönsten Heidelandschaften Norddeutschlands, an einem Stück zu laufen. 222 Kilometer. Mein Ziel: Ankommen – na gut, und die Fastest Known Time für mich ergattern! Für dieses Laufprojekt bin ich aktuell länger als sonst draußen unterwegs. Mein Kopf beschäftigt sich größtenteils mit Planungstabellen. So ein Laufprojekt will schließlich gut vorbereitet sein.
Egoismus, das Wort bezeichnet ein Handeln zum Eigennutz – und hat einen schlechten Ruf. Nicht nur im Marvel-Universum gelten Egoisten als selbstsüchtig, rücksichtslos und immer nur auf ihren Vorteil bedacht. Doch nicht jedes Ego ist gleich ein Monster. Ego ist die lateinische Entsprechung für das “Ich”. Das Ich ist unser Bewusstsein und Bezugspunkt. Wir kennen vor allem unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse, handeln aus persönlichen Erfahrungen und nach Interessen, die zwar wandelbar, doch in erster Linie genetisch bedingt sind und hauptsächlich in unserer frühen Kindheit geformt wurden.
Individuelle Gründe fürs Laufen
Anfang des Jahres veröffentlichte Strava die internationale Why We Run-Studie, bei der über 25.000 Läufer*innen über ihre Motivation zum Laufen Rede und Antwort standen. Weltweit beantworteten über 80 % die Frage, warum sie mit dem Laufen begonnen haben, mit einem körperbezogenen Aspekt, wie z. B. gesünder zu leben, sich stärker zu fühlen oder mehr Energie zu haben. Auch das psychische Wohlbefinden war ein bedeutender Faktor. Gesundheit, Körperwahrnehmung und Stärke. Wir ziehen unseren Nutzen aus dem Laufen und nehmen uns entsprechend Zeit fürs Training – Zeit für uns selbst. Von nicht-laufenden Partner*innen wird dies schnell als “ungerechter” Egoismus ausgelegt, da diese Zeit wohlmöglich fehlt für Freundschaften und Familie.
Doch ist eine gesunde Selbstliebe nicht sinnvoll und angebracht? Profitiert nicht auch unser Umfeld davon, wenn wir gesund und ausgeglichen sind? Genauso wie man mit seinem Auto nur dann Starthilfe geben kann, wenn die eigene Autobatterie voll ist, können wir besonders dann für andere da sein, wenn es uns selber gut geht. Eigenschutz ist die erste Maßnahme der Ersten Hilfe. Wenn wir schon mitten in Analogien stecken: Alle, die schon einmal geflogen sind, kennen auch den Sicherheitshinweis „Im Falle eines plötzlichen Druckverlustes in der Kabine legen Sie zuerst Ihre eigene Sauerstoffmaske an, bevor Sie Ihren Mitreisenden helfen.“ Egoistisch? Nein. Logisch!
Und tatsächlich gibt es auch die, die eine Hassliebe zum Laufen pflegen – und zwar nicht wenige. Nur ein Bruchteil der von Strava Befragten laufen, weil sie es lieben. Wenn diese Personen nicht nur dem inneren Schweinehund trotzen müssen, sondern ihren Sport auch gegen die eigene Familie verteidigen sollen, wirds richtig hart.
Das moderate Maß an Selbstüberschätzung
Das Laufen und die alltäglichen Verpflichtungen zu vereinen. Einer der vielen Beweise dafür, dass es sehr gut möglich ist, wenn man es will, ist mein ASICS FrontRunner Teamkamerad Max Kirschbaum. Mit ein paar Familienvätern aus seinem Revier hat er das Runningteam Potzberg gegründet; das geht sonntags um fünf Uhr morgens auf Höhenmeterjagd. Er sagt: „Um diese Zeit zählt das Argument „keine Zeit“ nicht!“ So sind viele von uns „Early Birds“ und ziehen das Lauftraining durch, bevor die Pflicht ruft. Ja, wir haben Ehrgeiz und Biss. Wir wetteifern um Medaillen und Rekorde. Per se schadet Ich-bezogener Ehrgeiz niemandem. Ein moderates Maß an Selbstüberschätzung kann das Wohlbefinden und den Erfolg im Leben fördern, und es hilft, Mut und Selbstvertrauen zu schöpfen, um Krisen zu meistern. Wenn dieser Glaube an die eigene Bedeutung allerdings umschlägt, in Arroganz und einen Drang, seinen Willen gegen jede*n und alles durchzusetzen, wenn man sich ständig vergleicht und in seinem Handeln sogar andere zum eigenen Vorteil ausnutzt, um besser zu sein, mehr zu sein, zeigen sich die negativen Auswirkungen des Egos: Selbstsucht und Selbsttäuschung, die einen den Bezug zur Realität und zu den Fähigkeiten anderer verlieren lässt.
Doch die meisten von uns sind soziale Wesen. Die Laufgemeinde ist eine nette, offene Gemeinschaft. Wir laufen gegen Gewalt und schnüren Laufschuhe für andere, für den guten Zweck. Wir sammeln Spenden und räumen beim Plogging den Müll anderer Leute weg. Wer nicht läuft, feuert an. Ich muss mich nur weiter im FrontRunner Team umsehen für viele Beispiele, wie wir in einem Individualsport „Wirgefühl“ entwickeln können: Saskia Erbslöh bewegt in Kronberg ihre “Outdoor-Mamas” zum Laufen: “Mein einziger Kurs, den ich gebe, da ich ja sonst nur als Personal Trainerin arbeite. Seit vier Jahren gibt es die Gruppe jetzt und es sind ganzjährig immer zwischen 8 und 12 Mamas mit Ihren Babys im Kinderwagen dabei. Mittlerweile kommen die Ersten mit ihrem zweiten Kind. Das ist superschön zu sehen und bestärkt mich darin, weiter zu machen. Bei Wind und Wetter. Um den Mamas die Möglichkeit zu geben, Sport in ihren neuen Alltag zu integrieren.”
Auch die Berlinerin Franziska Rudolph (Laufstrumpf) gibt ihr Wissen gern weiter und hat in ihrem neuen Job eine Laufgruppe ins Leben gerufen: “Es sind alles Anfängerinnen gewesen. Heute hat die Firma für uns eine Teamstaffel gebucht, und wir wollen gemeinsam beim Frauenlauf starten. Das gibt mir sehr viel, sie zu begleiten und mit ihnen zu laufen und zu arbeiten. Vor allem mag ich, wie begeistert sie sind.”
Jörg Dumuschat leitet in Zusammenarbeit mit einer Sportmarke in Berlin die Laufgruppe “Fit & Fast Run”: “Aus allen Schichten der Bevölkerung sind Läufer mit dabei. Von Woche zu Woche werden es mehr. Von 20-62, ob mit Hund oder ohne, ob schnell ob langsam. Sie alle stehen voll im Berufsleben und haben Familie. Sie kommen regelmäßig Donnerstag zum Training. Sie entschuldigen sich sogar, wenn sie später oder gar nicht kommen. Im letzten Jahr sind wir das erste Mal als Staffel beim Frankfurt Marathon gestartet. Es ist verrückt, was diese Laufgruppe über sich ergehen lässt. Aber der Spaß und der Erfolg stehen eben über vielen Dingen.”
Sich gegenseitig zu pushen und zu persönlichen Bestzeiten pacen – im Team wird vieles möglich. Das Glück und den Stolz nach Erreichen eines Ziels kann nur jemand mit einem gesunden Egoismus auch für andere empfinden. Denn wie war das mit dem Ego als unserem ersten Anhaltspunkt? Wir kennen in erster Linie uns und was uns widerfahren ist. Innenschau und Selbstliebe befähigen uns zu Empathie und sozialem Handeln.
Ein Team fängt einen auf.
Die gemeinsam durchgestandenen Lauferlebnisse schweißen zusammen, lassen Lauffreundschaften entstehen. Besonders deutlich zeigt sich dieser Wert beispielsweise beim Transalpine Run, bei dem sich Teams aus zwei vermeintlichen Einzelkämpfern über mehrere Tage gemeinsam durch Höhen und Tiefen kämpfen. Ja, wir sind gern unter Gleichgesinnten, deren Gedanken ebenfalls um Trainingsmethoden, Leistungsdiagnostik, Trails, Trails, Trails und die beste Ausrüstung dafür kreisen. Im gemeinsamen Trainingslager oder beim wöchentlichen Crewrun genießen wir das Wetter, den Austausch und die Herausforderungen. Laufen in einer Gruppe dient der Gemeinschaft und einem selbst. Und auch wenn wir uns in unserer Blase sehr wohl fühlen – lasst uns möglichst häufig auch abseits der Strecke Dinge ausprobieren, die uns fremd sind, mit Leuten, die wir nicht kennen.
Für viele ist Laufen Ausgleich zum Job, doch es gibt Beispiele, da wird das gar nicht getrennt: Die Kölnerin Judith van Vugt bringt in ihrem Job tagtäglich Kleinkinder, Kinder und Jugendliche mit neuromuskulären Erkrankungen zur Bewegung. Über den Tag verteilt übt sie mit den betroffenen Kindern in der Physiotherapie verschiedenste Bewegungsabläufe, unter anderem mit manchen Kindern eben auch das Laufen lernen. Gerührt sagt sie: “Da sind bei mir schon einige Tränen geflossen, wenn jemand seine ersten Schritte schafft! Die Schritte sind klein und müßig, aber allein dadurch hat das Wort Bewegung, Gehen und Laufen für mich eine ganz andere Bedeutung bekommen.” Auch Marie John aus Mainz zaubert Mädchen im Alter von 5-12 Jahren einmal die Woche ein Lächeln ins Gesicht. “Als ich vor zwei Jahren gefragt wurde, ob ich schwer erziehbaren Mädchen Sportunterricht geben kann, war ich sehr neugierig, was darunter verstanden wird. Ich konnte ihnen zeigen, dass bei mir alle gleichgestellt sind, auch wenn sie aus benachteiligten Familien kommen oder aus anderen Kulturen, in der Bewegung keinen großen Stellenwert hat. Klar, es war nicht immer leicht, aber ich glaube, es gibt keinen besseren Job, als Kinder lachen zu sehen und ihnen zu zeigen, dass man sie und ihre Sorgen ernst nimmt. Ich hoffe, durch den Sport wenigstens ein paar Werte vermittelt zu haben, und dass sie dadurch den Brennpunkt Zuhause kurz vergessen konnten.” Unterschiede hinten anstellen, Vorurteile revidieren, Perspektiven weiten.
Der Mensch kann nicht allein leben, und auch ein Läuferleben besteht nicht nur aus schnellen Zeiten. Wir alle haben ein Bedürfnis nach Sicherheit, Liebe und Zugehörigkeitsgefühl. All das kann uns nur durch Mitmenschen gegeben werden. Ein Team fängt einen auf, wenn's mal nicht gut läuft. Meine Trainingsutensilien haben ihren Dienst erfüllt; am 06. Juli war die Fastest Known Time auf dem Heidschnuckenweg meine. Vor diesem Ultralauf-Abenteuer hatte ich gehörig Respekt – und ein Team, das mich unterstützt hat. Auch wenn ich “mein” Abenteuer sage, machte ich mir im Vorfeld viele Gedanken darüber, wie ich meiner Crew zumindest ein bisschen zurückgeben kann und auch meine Begleiter ein außergewöhnliches Wochenende verleben würden. Die Lieblingssnacks der Jungs und Grillgut en masse standen ganz oben auf meiner Verpflegungsliste. Die VPs waren möglichst idyllisch gewählt und das iPad mit spannenden Filmen und Gute-Laune-Musik bestückt. Ich bin dankbar dafür, dass ich mich auf sie verlassen konnte und hoffe, ich darf eines anderen Tages auch ein Teil ihres Support-Teams sein.
Über 220 Kilometer, 39h55min – mit Navigation, ggf. Musik und Beleuchtung in der Nacht… Gedanken um ein mögliches Akku-Versagen sollten mich auf dem Heidschnuckenweg nicht belasten, genauso wenig das Zusatzgewicht einer Powerbank. Und so belohnte ich mich schon vorab, da ich diese Herausforderung überhaupt in Angriff wollte, und holte mir die Laufuhr mit der derzeit längsten Akkulaufzeit am Markt, die GPS-Multisport-Smartwatch Garmin fenix 6X Pro. Egoistisch? Nein. Logisch!
Die funktionsstarke schwarze Maschine wirkt mit einer Gehäusegröße von 51mm an meinem zarten Handgelenk zwar recht bullig, doch das große Display macht sich nicht nur beim Ablesen der Karte äußerst positiv bemerkbar – besonders wenn man auch in der Dunkelheit über die Trails rennt. Zudem finden viele Datenfelder pro Trainingsseite Platz, da hat man alle Infos gleich im Blick. Die Ablesbarkeit ist selbst unter schwierigen Lichtbedingungen optimal, denn das Glas spiegelt kaum und bietet tolle Kontrastverhältnisse. Die Garmin fenix 6X Pro ist 2020 mein treuer Begleiter und mehrtägige Touren mit ihrer Akkupower ohne Auftanken möglich.
Diesen Artikel habe ich für die LAUFZEIT Ausgabe 5/2020 geschrieben, wo er am 12.08.2020 als Titel-Story zuerst erschienen ist (6 Seiten, zum Lesen einfach aufs Bild klicken):